Gerhard Rohn

Die Geschichte des Math.-Nat. Gymnasiums

 

Demokratisierung der Schule

 

Die Schulreform

 

Als 1978 das neue Gebäude bezogen wurde, hatte die Schule, die vierzügig geplant war, mittlerweile 1256 Schüler. Im Schuljahr 1979 stieg die Zahl der Schüler auf 1405 an. Das bedeutete, daß die Schule nun fünf- bzw. sogar sechszügig wurde. Erschwerend kam hinzu, daß nach der Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe der herkömmliche Klassenverband nach der Klasse 10 aufgelöst und im Kurssystem unterrichtet wurde, ein System, das ein Vielfaches an Lehrern und an Räumen benötigt. Nun bewährte sich die großzügige Konzeption des Neubaus, er bot allen Klassen und Kursen genügend Raum. Schlimm wirkte sich jedoch der Lehrermangel aus. Trotz Mehrarbeit der hauptamtlichen Lehrkräfte und Erteilung des Unterrichts durch nebenamtliche Kräfte mußten viele Unterrichtsstunden ausfallen. Kurz bevor die Reform der Oberstufe am Math.-Nat. Gymnasium eingeführt wurde, fielen 12,8% (1973/74) des nach der Stundentafel vorgesehenen Unterrichts aus. Im Schuljahr 1976/77 betrug der Ausfall, u. a. bedingt durch die Schulreform, sogar 24,6%. Diese mißliche Situation war mit ein Grund, warum die Schulleitung keine eigenen Reformvorhaben entwickelte, obwohl die Schulaufsicht auf der „Amtlichen Direktorenkonferenz für den Amtsbereich des Schulkollegiums Düsseldorf” im April 1968 die Direktoren nachdrücklich zu solchen Reformversuchen ermutigt hatte.

 

Vielerorts wurde die „Reform” beklagt, man sprach davon, daß die „übertriebene Reformbewegung für die Schule ein Unglück” sei, daß das „deutsche Schulwesen . . . seit 1960 mehr Reformen über sich (habe) ergehen lassen müssen als die Schulsysteme der Nachbarstaaten. Insbesondere das Gymnasium hat zu keiner Zeit tiefgreifendere Veränderungen erfahren als in den letzten 20 Jahren.” Bei den Klagen über die Schulreform wurde vielfach übersehen, daß sie u. a. im Zuge der westeuropäischen Integration (Harmonisierung und Vergleichbarkeit der Abschlüsse) betrachtet werden muß, daß andere Staaten ihre Reformen durchsetzten – mit mehr oder weniger Erfolg -, als Deutschland während der NS-Zeit von den internationalen neuen pädagogischen Erkenntnissen ausgeschlossen war. Übersehen wurde auch, daß gerade in Deutschland Schulreformen eine lange Tradition hatten. Die Reformen waren stets begründet in der Forderung, daß Schule einzubinden sei in den permanenten Prozeß der gesellschaftlichen Veränderungen und Erfordernisse. Gerade das Math.-Nat. Gymnasium ist ein Musterbeispiel dafür. Hier sei noch einmal an die Gründungsgeschichte und Entwicklung der Schule (evangelische Bürgerschule, Realschule, Oberrealschule, Gymnasium) erinnert. Auch wiesen, kritische Analysen des Bildungswesens der Bundesrepublik Deutschland, unabhängig vom ideologischen oder politischen Standort, durchaus schwere Mängel auf, lange schon, bevor Picht von der „deutschen Bildungskatastrophe” sprach.

 

Zur Geschichte der Schulreform

 

Bemühungen, von staatlicher Seite aus planend in das Bildungswesen einzugreifen, sind seit der Französischen Revolution offenkundig. So übergab der Mathematiker und Physiker Concor-det 1792, als er Präsident der französischen Nationalversammlung geworden war, der Nationalversammlung den Bericht des „comite d’instruction publique” (Komitee für den öffentlichen Unterricht) „mit dem Entwurf einer Verordnung über die allgemeine Organisation des öffentlichen Unterrichts”. Er glaubte, wie er später in einem ge-schichtsphilosophischen Essay dargelegt hat, an den „reell unendlichen Fortschritt” und die „per-fectibilite” des Menschen. Danach galt Schule als diejenige staatliche Institution, in der die Gleichheit erlebt werden kann, nicht als formale Chancengleichheit, sondern als tatsächliche Gleichheit (egalite defait).

 

Ohne diese politische Motivierung finden sich Teile dieser Auffassung in der klassischen deutschen Bildungstheorie wieder, allerdings mit anderen, vor allem praktischen Folgerungen. So war es der Wunsch der Klassiker, allen Kindern, ohne den Stand der Eltern zu berücksichtigen, eine ausreichende Schulbildung zu vermitteln. Das preußische Gymnasium der vorindustriellen Zeit kam diesem Wunsch bereits sehr nahe. „Auf einer Tagung der Reimers-Stiftung wurde die in der Bildungsgeschichte übliche Einstufung der humanistischen Gymnasien als preußische Eliteanstalten von dem Bochumer Pädagogen Detlev Müller korrigiert.” Er führte aus: „Es war eine Schule, die zum ersten und vielleicht auch zum letzten Mal in Deutschland ein selbständiges Bildungskonzept besaß und ihre Daseinsberechtigung weder von den Erfordernissen des Berufslebens noch aus den Ansprüchen der Universitätswissenschaften ableitete, da sie ihre Schüler kraft eigenen Rechts nach eigenen Maßstäben erzog. Eine berufstypische Qualifikation war dabei ebensowenig wie die bloß formal umschriebene Studierfähigkeit das Ziel der Schulbildung, die sich ausdrücklich an Menschen aller Stände richtete und sich auf die allgemeine Vernunft berufen konnte, wenn sie den Anspruch erhob, mit ihrem Unterricht alle geistigen Kräfte und Fähigkeiten der Jugend zu wecken und zu kräftigen.” (FAZ 28. 9. 81)

 

In späteren Zeiten fand die „Bildungsplanung” in den zuständigen Ministerien der Regierungen statt, unter Ausschluß des Parlaments, wobei der Landesherr sich eigene Entscheidungen auf dem Gebiet des Schulwesens oft vorbehielt.

 

Im Bereich der höheren Bildung gab es ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Schulformen. Alte Schulen wandelten sich strukturell, neue kamen hinzu, teils aus dem mittleren, teils aus dem beruflichen Sektor des Schulwesens. Die Gründe dafür sind weniger bildungstheoretischer und pädagogischer als vielmehr sozialhistorischer Art. Die Industriegesellschaft stellte andere Anforderungen an die Schule. Schon mit der Humboldt-Süvernschen Reform wurden die Lateinschulen zu den klassischen Gymnasien umgewandelt, damit veränderten sich Bildungsverständnis, Lehrplan und Prüfungsordnung; höhere Leistungen und umfangreicheres Wissen wurden verlangt. Weiterreichende Veränderungen ergaben sich durch das Aufkommen von neuen Schultypen: Realgymnasium und Oberrealschule. 1900 wurde in Preußen durch kaiserliche Ordre die Gleichstellung dieser drei Grundtypen erreicht, und ab 1901 waren alle Abiturienten in gleicher Weise zum Universitätsstudium zugelassen. Damit hatte sich das aufstrebende Wirtschaftsbürgertum durchgesetzt, es besaß nun an ihren Interessen ausgerichtete höhere Schulen.

 

Nach dem verlorenen I. Weltkrieg wurde „Schule” wieder zu einem Thema der breiten Öffentlichkeit. Als in der Weimarer Republik der Minister des Innern 1920 die „große Reichsschulkonferenz” nach Berlin einberief, wurde dies als epochales Ereignis der deutschen Schulgeschichte empfunden. Es herrschte eine Art Aufbruchsstimmung. Doch die Konferenz scheiterte, dies lag nicht zuletzt an ihrer heterogenen Zusammensetzung: ca. 150 Minister und Staatssekretäre aus Reich und Ländern, Delegierte der großen Kirchen, Vertreter der Lehrerverbände und der verschiedensten Berufsvereinigungen, politisch relevante Gruppen und eine Minderheit pädagogisch engagierter Persönlichkeiten versuchten, eine verbindliche Ordnung in die Reformpläne zu bringen. Eduard Spranger beurteilte diesen Versuch als „achttägige Massenschlacht”. In der Zukunft lag die Verantwortung für das deutsche Schulwesen in der Hand der Länder.

 

Bedeutsam war aber die moderne Thematik innerhalb der tagelangen Diskussionen: Vereinheitlichung des Schulwesens, 4- oder 6jährige Grundschule, Berechtigung zum Hochschulzugang, Durchlässigkeit der Schularten, Zusammenarbeit der Reichsregierung mit den Ländern. Dies sind grundlegende Gedanken, die ab 1950 wieder die Reformdiskussion bestimmten.

 

Mit der Einführung der Richertschen Reform 1925 wurde neben die traditionellen drei Gymnasialtypen ein vierter Typ gestellt, die Deutsche Oberschule. (Vgl. zur Richertschen Reform den Abschnitt „Weimarer Republik”!)

 

Nach dem verlorenen II. Weltkrieg mußte im Bereich der Erziehung und Bildung sowie in der Ordnung des gesellschaftlichen Lebens ein Neuanfang gewagt werden. Den Deutschen, die während des NS-Regimes von der Fortentwicklung der Pädagogik ausgeschlossen waren, blieb nichts anderes übrig, als an die Reformpädagogik der 20er Jahre anzuknüpfen. Namhafte Reformpädagogen (Kerschensteiner, Litt, Gaudig, Scheibner, Nohl und Flitner) wurden für die innere Schulreform richtungsweisend, im Vordergrund stand aber zuerst einmal der Wiederaufbau des äußeren Schulsystems. Selbst dafür gab es jedoch keine konkreten Pläne. Die Besatzungsmächte versuchten, Deutschland eine äußere Reform aufzuerlegen, hatten dabei aber wenig Erfolg. Zwar wurde der Erlaß des Alliierten Kontrollrates (25. 6. 47) als „Meilenstein in der deutschen Schulgeschichte” gewürdigt, aber die dort aufgestellten Prinzipien für eine demokratische und soziale Ordnung wurden 1947 immer noch als der deutschen Kulturtradition wesensfremd empfunden und zumeist noch abgelehnt, obwohl sie zum größten Teil den Bemühungen des Deutschen Lehrervereins von 1920 entsprachen. Erst in den folgenden Jahrzehnten wurden schrittweise die in den „Grundlegenden Prinzipien” erhobenen Forderungen durchgesetzt, jetzt endlich in Übereinstimmung mit westlich anerkannten allgemeinen Prinzipien von Bildung und Erziehung, die nun auf demokratischem Wege in Deutschland verwirklicht wurden. Es ist verständlich, daß daher das deutsche Schulwesen in den letzten Jahrzehnten mehr Reformen erfahren hat als die Schulsysteme der Nachbarstaaten. Besonders das gymnasiale Schulwesen wurde tiefgreifender verändert als in seiner ganzen bisherigen Geschichte.

 

Die schrittweise Durchsetzung der Gymnasialreform

 

Im Jahre 1948 wurde die „Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder” (KMK) gegründet. Ein Stab von Länderbeamten, der sogenannte Schulausschuß, sollte die Vorarbeit übernehmen, damit die KMK zu einheitlichen Beschlüssen gelangte. In den nächsten Jahren wurde das Schulwesen der Bundesrepublik von der Arbeit der KMK geprägt. Die Arbeit der KMK spiegelte sich in den Abkommen und Vereinbarungen wider, die den heutigen Gymnasien die Gestalt gegeben haben.

 

Das Düsseldorfer Abkommen (1955) und das Hamburger Abkommen (1964) sollten zu einer Vereinheitlichung des höheren Schulwesens führen; man hielt an der Typengliederung des Gymnasiums mit altsprachlichem, neusprachlichem und mathematisch-naturwissenschaftlichem Zweig fest. Die Tradition der Deutschen Oberschule wurde nicht wieder aufgenommen, vielleicht, weil die Zielsetzung der Richertschen Reform in der NS-Zeit pervertiert worden war. Hielt man damals noch an den drei tradierten gymnasialen Schultypen fest, schritt man später zu einer Modifizierung, die eine Vielzahl neuer Typen hervorbrachte (u. a. technisches, musisches, wirtschaftliches Gymnasium). Erheblich weiterreichende Regelungen brachten die „Saarbrücker Rahmenvereinbarungen zur Ordnung des Unterrichts auf der Oberstufe der Gymnasien” (1960) und die „Stuttgarter Empfehlungen” zur didaktischen und methodischen Gestaltung der Oberstufe der Gymnasien (1961). Inhaltliche Veränderungen wurden damit eingeleitet. Die Vereinbarungen brachten eine Verminderung der Zahl der Pflichtfächer im Sinne der Konzentration und Vertiefung, wobei eine Reihe von Pflichtfächern in Wahlpflichtfächer oder freiwillige Unterrichtsveranstaltungen umgewandelt wurden. Dabei ergab sich die Möglichkeit, eines der Kernpflichtfächer – bei den sprachlichen Gymnasien war es Mathematik, bei den math.-naturwissenschaftlichen Gymnasien waren es die Fremdsprachen – in der 11. bzw. 12. Klasse abzuschließen (Stufenabitur).

 

Die Arbeit des KMK wurde von Empfehlungen und Ratschlägen aus dem schulischen und universitären Bereich beeinflußt. Bereits im Jahre 1951 erfolgte ein Zusammenschluß pädagogisch interessierter Kreise aus Schule und Universität, die in den „Tübinger Beschlüssen” (1951) ein zukunftsweisendes Programm für die innere Reform des Gymnasialunterrichts entwickelten. Dieses Programm beeinflußte nicht nur das pädagogische Denken, sondern auch den „Rahmenplan des Deutschen Ausschusses”, das „Saarbrücker Abkommen”, die „Stuttgarter Empfehlungen” und die „Berliner Richtlinien und Empfehlungen”. Die „Tübinger Beschlüsse” enthielten den Terminus des „Exemplarischen Lernens”, ein Begriff, der ein ganzes Arbeitsprogramm enthielt und der in den folgenden Jahren so präzis formuliert wurde, daß er in allen Curricula der späten 70er und in den 80er Jahren wieder auftauchte.

 

Die KMK erhielt auch durch die 1953 gegründete „Arbeitsgemeinschaft Deutsche Höhere Schule” Anregungen für ihre Planung. Die AG war unter Führung des Schulausschusses ein Zusammenschluß der „Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte”, des Philologen Verbandes und der Fachverbände des Gymnasiums, die zur Überwindung des Fachegoismus und der konträren Bestrebungen innerhalb des Gymnasiums beitragen sollte. Die Veröffentlichungen der AG fanden in der Öffentlichkeit starke Beachtung. Die Bildungskonzeption wurde zwar nicht von allen Mitgliedern geteilt, manchen Mitgliedern erschien die Zahl der Wochenstunden zu hoch, auch der Vorschlag einer Fächerbeschränkung zugunsten eines Kern- und Kurssystems und der Gedanke eines „Etappenabiturs” wurde verworfen. Es zeigte sich aber, daß die organisierte Gymnasiallehrerschaft Gedanken zur Reform anbieten konnte, wie sie in modifizierter Form im Gymnasium heute realiter vorzufinden sind.

 

Die radikalste Veränderung in der Geschichte des deutschen Gymnasiums brachten die von den Kultusministern getroffene „Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II vom 7. Juli 1972″ (Bonner Vereinbarung) und die Folgebeschlüsse: „Übereinkünfte zur einheitlichen Durchführung der Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II” (Lübecker Beschlüsse 1977); „Empfehlungen zur Arbeit in der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II (1977)”.

 

Die Neugestaltung der Oberstufe war ein Vorhaben, dessen Anfänge bis in die 50er Jahre zurückreichen. Sie ist aus Schulversuchen der Länder und den Erfahrungen reformfreudiger Schulen in fast zwei Jahrzehnten entwickelt worden. Einen starken Einfluß auf diese Vereinbarungen hatten die acht „Tutzinggespräche” ausgeübt, die hauptsächlich zwischen den Schulausschüssen der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der KMK über die schwierige Thematik der „Hochschulreife” geführt wurden. Auf denTagun-gen erzielten die Hauptinteressenten – Hochschule und Schulverwaltung – einen Konsens, der den Abschluß der „Vereinbarungen” der KMK erst ermöglichte.

 

Mit der Neugestaltung der Oberstufe, zu der man als vorbereitende Phase auch die Differenzierung der Mittelstufe zählen muß, wurden mehrere Zielvorstellungen verbunden. Das bildungstheoretische Konzept der Reform wollte eine stärkere Orientierung des Unterrichts an die Anforderungen des gesellschaftlichen Lebens, ferner eine adäquate wissenschaftliche Ausrichtung durch didaktische und methodische Änderungen, eine bessere Berücksichtigung individueller Möglichkeiten des Schülers hinsichtlich seiner Begabung, seiner Interessen und seines Leistungsvermögens sicherstellen. Über das bildungstheoretische Konzept hinaus wurden bildungspolitische Ziele gesetzt:

  • Die Vereinbarung soll die gemeinsame Gestalt der Oberstufe in den Ländern sichern.
  • Die neugestaltete Oberstufe soll sowohl den Weg zur Hochschule als auch denWeg in die berufliche Ausbildung und Tätigkeit öffnen.
  • Die Vereinbarung beschränkt die Reform auf die gymnasiale Oberstufe. Sie bezieht nicht das berufsbildende Schulwesen in eine gesamtschulartige Sekundarstufe II (Kollegschulversuch) mit ein, bleibt aber offen für die Aufnahme berufsbezogener Bildungsgänge.

 

Pädagogisch-didaktische Ziele werden in den Vereinbarungen nicht explizit genannt, jedoch wurden folgende Ziele diskutiert und akzeptiert:

  • die Notwendigkeit, allen Schülern grundlegende wissenschaftliche Verfahrens- und Erkenntnisweisen systematisierend und proble-matisierend zu vermitteln,
  • sie auf staatsbürgerliches Handeln vorzubereiten und
  • sie zu allgemeiner Kommunikation zu befähigen.

 

Die organisatorische Neuerung, der noch die curriculare fehlte, bestand darin, daß eine Ent-typisierung der traditionellen höheren Schulen erfolgte. An Stelle der Typen traten nun neue Gliederungseinheiten, die eine Individualisierung der Schullaufbahn bei gleichzeitiger Sicherung einer gemeinsamen Grundbildung gewährleisten sollten: Aufgabenfelder, Grund- und Leistungskurse, Pflicht- und Wahlbereiche.

 

Die Aufgabenfelder strukturieren das Fächerangebot in drei Bereiche:
– das sprachlich-literarische-künstlerische,
– das gesellschaftswissenschaftliche,
– das mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Aufgabenfeld.

 

Grund- und Leistungskurse unterscheiden sich in der Quantität durch ein unterschiedliches Unterrichtsvolumen (In der Regel sind Grundkurse dreistündig, Leistungskurse sechsstündig.), in der Qualität durch unterschiedliche Anforderungen. Leistungskurse sollen ein vertieftes wissenschaftspropädeutisches Verständnis und erweiterte Spezialkenntnisse vermitteln. Das quantitative Verhältnis von Pflicht- und Wahlbereich soll bei einem Unterrichtsvolumen von 30 Wochenstunden (max. 33) etwa 2 :1 betragen. Die Pflichtbindungen umfassen die Fächer Deutsch, Mathematik, eine aus der Sekundarstufe I fortgeführte Fremdsprache, eine Gesellschafts- und eine Naturwissenschaft sowie Sport. Dabei muß der Schüler mindestens zwei Halbjahreskurse im Fach Deutsch, Mathematik, der gewählten Fremdsprache sowie zwei künstlerische Kurse, vier Kurse aus einer Gesellschaftswissenschaft und einer Naturwissenschaft sowie drei Sportkurse belegen. Er hat zwei Leistungskurse zu wählen, von denen einer im fremdsprachlichen oder mathematischen oder naturwissenschaftlichen Bereich liegen muß.

 

Mit der Neugliederung des Unterrichtsangebotes gingen folgende Änderungen der Organisationsform einher:
Die Oberstufe umfaßt die Jahrgangsstufen 11, 12 und 13. Die Dauer des Durchgangs beträgt mindestens zwei und höchstens vier Jahre, wobei der Jahrgangsstufe 11 eine vorbereitende und orientierende Funktion zukommt. Die Jahrgangsklassen werden durch ein System von Grund- und Leistungskursen abgelöst, das in Stufe 11 eingeführt und ab Jahrgangsstufe 12 voll entfaltet sein soll. Die Kurse dauern jeweils ein Schulhalbjahr. Das Kurssystem verlangt eine individuelle Schullaufbahnberatung. Beratungslehrer übernehmen die Aufgaben des bisherigen Klassenlehrers.

 

Die schriftliche Abiturprüfung muß in den beiden Leistungsfächern und in einem Grundkurs abgelegt werden. Für die mündliche Prüfung wählt der Schüler ein weiteres viertes Fach. Die Prüfungsfächer müssen aus allen drei Aufgabenfeldern stammen, unter denAbiturfächern muß Deutsch oder Mathematik oder eine Fremdsprache sein. Ist Religionslehre Bestandteil der Abiturprüfung, so kann es das gesellschaftswissenschaftliche Fach ersetzen. Die Prüfungsfächer müssen kontinuierlich schriftlich ab Jahrgangsstufe 11.2 belegt worden sein.

 

Im Unterschied zum traditionellen Bewertungssystem werden die in der Qualifikationsphase (Jahrgangsstufen 12 und 13) erbrachten Leistungen zusammen mit den Leistungen der Abiturprüfung in eine Gesamtqualifikation eingebracht, wobei das Gesamtergebnis sich zu je einem Drittel der erreichbaren Punkte aus allen Leistungskursen, 20 anrechenbaren Grundkursen des Pflicht- und Wahlbereichs und der Abiturprüfung zusammensetzt.

 

Zuerst werden die Einzelleistungen wie zuvor mit den herkömmlichen Noten bewertet, die dann am Ende eines Kurshalbjahres in Punkte aufgeschlüsselt werden. Das Punktsystem erlaubt eine größere Präzisierung durch die Berücksichtigung der Notentendenzen (plus – minus) und eine genauere Ermittlung der Gesamtqualifikation, die eine formale Vergleichbarkeit der individuellen Schullaufbahnen gewährleistet, wie sie für die allgemeine Anerkennung der Studierfähigkeit zwingend erforderlich ist, ganz besonders für die „Numerus-cIausus-Fächer”. Zu erwähnen bleibt, daß die Leistungsfächer gegenüber den Grundfächern dreifach bewertet werden.

 

Im Unterschied zum traditionellen System der Haupt- und Nebenfächer gilt, unter dem Aspekt der Wissenschaftspropädeutik für die gymnasiale Oberstufe, die Gleichwertigkeit aller Fächer. Hinzu kommt eine Reihe von „neuen” Fächern, die weit über den tradierten Fächerkanon des Gymnasiums hinausgehen (Pädagogik, Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Rechtskunde, Psychologie etc.). Dieser Schritt wurde mit der Transfertheorie begründet. Danach können Prinzipien und Strukturen des Gelernten („Exemplarisches Lernen“) unter bestimmten Konditionen auf ähnliche oder neue Lernsituationen übertragen werden. Der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Fächer wird jedoch relativiert: Gleichwertigkeit bedeutet nicht Gleichartigkeit. Auch die Erfahrungsbereiche des Jugendlichen, die nicht wissenschaftspropädeutisch vermittelt werden, sind zu berücksichtigen. Ferner haben einzelne Fächer eine Vorzugsstellung, weil ihnen eine fundamentale Bedeutung für eine große Zahl von wissenschaftlichen Studiengängen und ein besonderer Wert für eine allgemeine Grundbildung zuerkannt wird.

 

Diese Oberstufenreform mit ihrer starken Differenzierung brachte den Schülern eine relativ große Freiheit in der Lehrplangestaltung. In der Öffentlichkeit stieß sie auf vielfältige Kritik. Widerspruch riefen folgende Maßnahmen und Sachverhalte hervor: die Auflösung der bisherigen Klassenverbände, ein starkes Abweichen der neuen Lerninhalte von den alten hinsichtlich ihrer Bildungswirksamkeit, die Fächerwahl der Schüler unter dem Aspekt des Erwerbs guter Noten, mangelnde „Reife” für bestimmte universitäre Studiengänge, Überforderung der Schüler durch Verwissenschaftlichung der Schulbildung, Grenzen bei der Wahlmöglichkeit der Kurse (Nicht-Zustandekommen von Kursen infolge geringer Nachfrage).

 

Aufgrund von aufgetretenen Mängeln wurde in den letzten Jahren eine Korrektur der Reform vorgenommen. Das entscheidende Motiv war, unter Beibehaltung des Grundsystems – individuelle Schwerpunktbildung bei weitgefächertem Wahlangebot – eine Stärkung der Allgemeinbildung zu erreichen. Dies sollte durch die Rückkehr zu jenen Kernfächern geschehen, die bei sachgerechtem Unterricht Allgemeinbildung vermitteln und die Studierfähigkeit sichern sollen. Zu diesen Kernfächern gehören Deutsch, Geschichte, Mathematik, eine Fremdsprache und eine Naturwissenschaft, die dann auch möglichst bis zum Abitur beibehalten werden sollen.

 

Die Realisierung der Reform am Math. -Nat. Gymnasium

 

Das Math.-Nat. Gymnasium nahm aus verschiedenen Gründen, trotz unzureichenden Räumlichkeiten, erheblichem Lehrermangel immerhin an der dritten Versuchsreihe (Schuljahr 1974/75) zur Einführung der reformierten Oberstufe tei.

 

Dabei wurden in das Kurssystem zuerst die bisherigen Schulfächer aufgenommen. Später wurde das Angebot um Sozial Wissenschaften, Pädagogik und vor allem Informatik erweitert, als für diese Fächer ausgebildete Lehrer zur Verfügung standen.

 

Das jetzige Kursangebot umfaßt die Fächer Deutsch, Englisch, Französisch, Latein, Musik, Kunst, Geschichte, Philosophie, Sozialwissenschaften, Geschichte mit Sozialwissenschaften, Erdkunde, Pädagogik, Mathematik, Physik, Biologie, Chemie, Informatik, kath. und evangelische Religionslehre sowie Sport. Alle Fächer mit Ausnahme von Lateinisch, Musik, Philosophie, Sozialwissenschaften, Pädagogik, Informatik, kath. und evangelische Religionslehre sowie Sport werden auch als Leistungsfächer geführt. Diese freiwillige Selbstbeschränkung der Lei-stungs- und Grundkursfächer hat für den Schüler den Vorteil, daß er dieses Angebot bisher auch immer nutzen konnte. Es sind bei allen denkbaren Kombinationsmöglichkeiten nie Kurse wegen zu geringer Nachfrage weggefallen, so daß auch für „Wiederholer” die einmal gewählte Schullaufbahn stets sichergestellt war.

 

Die Organisation von Grund- und Leistungskursen gelang ohne größere Schwierigkeiten. Schwerwiegender war das Fehlen eines wissenschaftlich abgesicherten Curriculums. Anhand bestehender Richtlinien und Unterrichtsempfehlungen entwickelten die Fachkonferenzen einen auf das Kurssystem ausgerichteten Studienführer, der die Lerninhalte, Lernziele und Lernverfahren der angebotenen Fächer enthielt und die Pflichtbedingungen sowie den Durchgang durch die reformierte Oberstufe für die Schüler anschaulich beschrieb. Zusätzlich wurden für Schüler und Eltern Informationsveranstaltungen angeboten. Dieser Studienführer bewährte sich so gut, daß er in ständig überarbeiteter Form jedem Schüler bei Eintritt in die Oberstufe ausgehändigt wird. Als am 1. 2. 1982 die neuen Richtlinien für die gymnasiale Oberstufe vom Kultusminister in Kraft gesetzt wurden, zeigte sich, daß das anstaltseigene Curriculum nur geringfügig geändert werden mußte.

 

Die neuen Richtlinien waren in einem schulpraxisnahen, pragmatischen Entwicklungsverfahren unter Beteiligung der Fachkonferenzen der Gymnasien des Landes erarbeitet worden und faßten die bisherigen Unterrichtserfahrungen im Kurssystem und in der Abiturprüfung zusammen. Sie bilden den inhaltlichen Rahmen für die Unterrichts- und Erziehungsarbeit in der Schule.

 

Die Einführung der Reform war mit einem enorm hohen Verwaltungs- und Organisationsaufwand verbunden. Für die Oberstufe wurde ein verantwortlicher Projektleiter ernannt, der für die Koordination der vorgeschriebenen Abläufe (Beratungen, Konferenzen, Versetzungen, Klausurtermine, Abiturzulassung, Abiturprüfung) zuständig ist. Ihm zur Seite standen anfangs für jede Jahrgangsstufe zwei zusätzliche erfahrene Beratungslehrer. Dieses System wurde geändert, da es eine zu hohe Belastung für den einzelnen Lehrer bedeutete. Da der Schüler zwei Leistungskurse belegen muß, wurden die Leistungskurse in zwei „Schienen” eingeteilt. In einer Schiene wurde jedem Leistungskurs ein Tutor zugeordnet. Dieser Tutor unterrichtet in dem entsprechenden Leistungskurs und nimmt sozusagen die Funktion eines Klassenlehrers wahr. Damit wurde erreicht, daß im komplizierten Kurssystem jeder Schüler einen „Ansprechpartner” für Schullaufbahnberatungen oder persönliche Dinge hat. Da in den Leistungskursen in der Regel kein Lehrerwechsel stattfindet, unterrichtet der Tutor den Schüler kontinuierlich von der Jahrgangsstufe 11.2 bis zur Jahrgangsstufe 13.2., so daß zwischen Lehrerund Schüler ein Vertrauensverhältnis entstehen kann und die Anonymität verloren geht. Der Projektleiter bleibt aber weiterhin für alle Belange, die die gesamte Oberstufe betreffen, zuständig.

 

Eine auf die Oberstufenreform zugeschnittene Neuerung erfolgte 1973 durch die Einführung der „Differenzierten Mittelstufe”, die bis heute kaum verändert wurde. Es war ein Ziel der Planung, bereits in den Klassenstufen 9 und 10 eine Enttypisierung der Gymnasien zu erreichen, um auf die Umwandlung der Oberstufe mit dem Kurswahlsystem vorzubereiten. Die Schüler haben einen Pflichtbereich von 28 Wochenstunden und einen Differenzierungsbereich von 4 Wochenstunden. In diesem Differenzierungsbereich werden entweder zwei Fächer als zweistündige Kurse oder eine dritte Fremdsprache als vierstündiger Kurs verbindlich angeboten, wobei jedoch nur Fächer angeboten werden dürfen, die auch in der Oberstufe gewählt werden können.

 

Diese vorbereitende Reform wurde pädagogisch-psychologisch begründet: So soll der Differenzierungsbereich dem Schüler helfen, seine Neigungen und Begabungen zu erproben, um ihn für die individuelle Wahl der Schullaufbahn in der Oberstufe sicherer und fähiger zu machen.

 

Da im Wahlbereich der differenzierten Mittelstufe der Klassenverband aufgelöst wird, ergibt sich für den Schüler die Möglichkeit, sich langsam aus der vertrauten Gemeinschaft zu lösen und zu lernen, in neuen Gruppen zu arbeiten.Diese Einübung einer gruppenspezifischen Umorientierung bildet die Voraussetzung für die notwendige Mobilität in der reformierten Oberstufe.

 

1973 wurden auch die Klassen 5-10 des Gymnasiums (Unter- und Mittelstufe) dem größeren Bereich der Sekundarstufe I zugeordnet. Daher erfolgte eine Angleichung der Stundentafeln von Gymnasium, Realschule und Hauptschule.

 

Durch diese Zuordnung sollte eine größere „Durchlässigkeit” zwischen den Schulformen erreicht und damit der Aufstieg der Schüler in die höheren Stufen ermöglicht werden. Im Einführungserlaß heißt es dazu: „Die neuen Stundentafeln tragen der Notwendigkeit Rechnung, die Schulformen in der Sekundarstufe I in curricularer Hinsicht aufeinander zu beziehen. Sie stellen einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer Vereinheitlichung der Stundentafeln in der Sekundarstufe I dar. Sie bewirken bei gleichen Gesamtwochenstundenzahlen für alle Schulformen eine möglichst weitgehende Angleichung auch in den Stundenzahlen für die einzelnen Lernbereiche bzw. Fächer.”

Als Folge der Einbindung in den Sekundarbereich I wurden die bisherigen Versetzungsordnungen der drei Schulformen abgelöst durch die „Verordnung über die Abschlüsse und die Versetzung in der Sekundarstufe I” (1984). Für das Gymnasium brachte die Verordnung einige wesentliche Veränderungen:

  • Kunst, Musik und Sport sind uneingeschränkt versetzungswirksam.
  • Die Leistungen in den Fächern des Wahlpflichtbereichs II sind bei der Versetzung in die Klasse 10 nur positiv, bei der Versetzung in die Jahrgangsstufe 11 uneingeschränkt versetzungswirksam. Dabei gelten nicht ausreichende Leistungen in zwei zweistündigen Kursen als Minderleistung in nur einem Fach. Die dritte Fremdsprache in Klasse 10 wird wie ein nichtschriftliches Fach gewichtet.
  • Mit einer mangelhaften Leistung in einem der Fächer Deutsch, Mathematik, 1. oder 2. Fremdsprache kann der Schüler nur dann in die Jahrgangsstufe 11 versetzt werden, wenn in einem dieser Fächer eine mindestens befriedigende Leistung als Ausgleich vorliegt.

 

Die Verrechtlichung der Schule

 

Die Länder unterliegen nach dem Grundgesetz dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip. Diese Prinzipien verpflichten die Parlamente, in allen Bereichen, in denen es um wesentliche Entscheidungen geht, diese nicht der Verwaltung zu überlassen, sondern das Verwaltungshandeln durch Gesetze oder gesetzesgleiche Vorschriften zu binden. Nach dem Rechtsstaatprinzip ist die öffentliche Gewalt durch Kompetenzzuordnung und Funktionstrennung rechtlich zu binden, während das Demokratieprinzip fordert, daß die Ordnung eines Lebensbereiches auf einer parlamentarischen Willensentschließung beruhen muß. Von dieser Regelung ist auch die Ordnung des schulischen Lebensbereiches nicht ausgenommen, d. h., der Gesetzgeber muß die wesentlichen Merkmale dieses Bereiches selbst festlegen. Zwar steht nach Art. 7 Abs. 1 GG das Schulwesen unter staatlicher Aufsicht. Daraus kann aber keine Befugnis für die Schulverwaltung hergeleitet werden, das Schulwesen ohne gesetzliche Grundlage zu regeln. Unter den Begriff der staatlichen Schulaufsicht fällt die Gesamtheit der staatlichen Herrschaftsrechte über die Schule. Dabei bleibt den Ländern als denTrägern der Schulhoheit eine Gestaltungsfreiheit bei der inhaltlichen Festlegung von Erziehungs- und Unterrichtszielen und bei der Bestimmung des Unterrichtsstoffes. Staatliche Schulaufsicht bedeutet nicht Legitimierung einer Verwaltungspraxis, die diese Befugnisse ohne Beteiligung des Parlaments durchsetzen will. Politische Leitentscheidungen – auch für die Schule – kann nur das demokratisch legitimierte Parlament fällen. Im Zusammenhang mit der Wesentlichkeitstheorie hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerfGE 33,l ff) dem sogenannten „besonderen Gewaltverhältnis” – damit ist das Verhältnis des einzelnen Schülers zu seiner Schule gemeint – jede Bedeutung für die Einschränkung von Grundrechten abgesprochen. Dies könne nur kraft eines Gesetzes geschehen. Damit war der Gesetzgeber aufgefordert, den entsprechenden Rechtsrahmen zu schaffen. Durch Gesetz war der Anspruch des Schülers zu sichern, während der Schulzeit in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zu leben und zu arbeiten. Daher sind zu den wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen, die durch den Gesetzgeber zu regeln sind, folgende Festlegungen zu rechnen:

  • die Bildungs- und Erziehungsziele der Schule
  • die allgemeinen Lernziele
  • der Fächerkanon
  • die Schulorganisation
  • die Mitbestimmung von Eltern und Schülern.

 

Die Tendenz zur Verrechtlichung (d. h. Demokratisierung) des Schulwesens ging nun dahin, unter Anwendung der Wesentlichkeitstheorie weite Bereiche des Schulwesens kraft Gesetz eindeutig und klar zu regeln (z. B. das Recht auf gerichtliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen, Anfechtung von Zeugnisnoten, Stärkung der individuellen Rechte von Eltern und Schülern).

 

Ansätze zur Demokratisierung der Schule gab es seit 1918, als die Elternbeiräte ins Leben gerufen und auch die Schüler zur Mitverwaltung aufgefordert wurden. Diese Ansätze hat der Nationalsozialismus dann wieder zerschlagen. Erst nach 1949 wurde die Mitwirkung der Eltern und der übrigen Erziehungsträger am Leben und an der Arbeit der Schule wieder eingeführt. Von besonderer Bedeutung für die fortschreitende Demokratisierung des Schulwesens waren das „Schulmitwirkungsgesetz” (1977) und auf der Grundlage dieses Gesetzes die „Allgemeine Schulordnung” (1978).

 

Durch das Schulmitwirkungsgesetz (SchMG) wurde die Beteiligung von Lehrern, Eltern und Schülern an den Entscheidungen der Schule geregelt. Ziel der Mitwirkung ist es, die Eigenverantwortung in der Schule zu fördern und das Zusammenwirken aller Beteiligten in der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule zu stärken. (SchMG § 1.1) Die Mitwirkung umfaßt Entscheidungen, die Beteiligung sowie die notwendige Information. Die Beteiligung erstreckt sich auf Anhörungs-, Beratungs-, Anregungs- und Vorschlagsrechte. (§ 1.2)

 

Mitwirkung in der Schule erfolgt in der Schulkonferenz, in der Lehrerkonferenz, in Fachkonferenzen, im Lehrerrat, in der Klassenkonferenz, in der Schulpflegschaft, in der Klassenpflegschaft, in der Versammlung der Erziehungsberechtigten, im Schülerrat und in der Schülerversammlung sowie in der Klasse und im Kurs. (…)(§ 2.1)

 

Durch jenes Gesetz werden aber auch die Grenzen der Mitwirkung aufgezeigt. Die Mitwirkung und die Zusammensetzung der Mitwirkungsorgane in der Schule, beim Schulträger und beim Kultusminister sowie die Verfahrensvorschriften sind darin geregelt.

 

Als neues Leitungsorgan wurde die Schulkonferenz konzipiert, die über die wichtigsten Angelegenheiten aus der Bildungs- und Erziehungsarbeit einer Schule zu beraten und zu entscheiden hat. Die Anzahl der Mitglieder der Schulkonferenz richtet sich nach der Anzahl der Schüler einer Schule; das Verhältnis der Erziehungsberechtigten, Lehrer und Schüler wird durch die Schulart bzw. die Schulstufe bestimmt.

 

Im Jubiläumsjahr unserer Schule besteht die Schulkonferenz aus 24 Mitgliedern (12 Lehrer, 6 Elternvertreter, 6 Schüler). Sah man anfangs in Lehrerkreisen der Mitbestimmung etwas skeptisch entgegen, so verflog diese Skepsis schnell durch die besonnene, offene und engagierte Arbeit aller Mitglieder der Schulkonferenz. Ohne Übertreibung kann von der bisherigen Arbeit der Schulkonferenz unserer Schule gesagt werden, daß sie entscheidend dazu beigetragen hat, die „Bildungs- und Erziehungsarbeit” des „Math.-Nat.” zu stärken.

 

Die Allgemeine Schulordnung (ASchO) vom November 1978 entstand auf der Grundlage des Schulverwaltungsgesetzes und Schulmitwirkungsgesetzes mit der Zustimmung des Ausschusses für Schule und Kultur des Landtages von Nordrhein-Westfalen. Die „ASchO” regelt u. a. Beginn und Ende des Schulverhältnisses, die Teilnahme am Unterricht und sonstige Schulveranstaltungen, die Erziehungsmaßnahmen, die Leistungsbewertung und die Versetzung, die Schulübergänge und Abschlüsse, Meinungsfreiheit und Schülerzeitungen, Hausrecht und Unfallverhütung.

 

Die Entwicklung des Schulrechts hat es notwendig gemacht, besonders die rechtliche Stellung des Schülers in der Schule durch Gesetze und Rechtsverordnungen zu bestimmen. Somit soll die ASchO als verbindlicher Handlungsrahmen für alle am Erziehungsprozeß Beteiligten die Erfüllung des insbesonders in Artikel 7 der Landesverfassung festgelegten Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule gewährleisten. Die Schule wird definiert als Stätte der Bildung und Erziehung, die im Rahmen der in der Verfassung festgelegten allgemeinen Bildungs- und Erziehungsarbeit die Aufgabe hat, die Schüler zu mündigen Menschen heranzubilden und ihnen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, die ihnen selbständiges Urteil und eigenverantwortliches Handeln in Familie, Staat und gesellschaft ermöglichen. (…)

 

Dabei können auch in der Schule Schwierigkeiten und Konflikte entstehen, deren Ursachen aufzudecken und zu klären sind. Hierbei soll u. a. die ASchO helfen, da sie die Voraussetzungen und rechtlichen Folgen des Handelns von Lehrern, Schülern und Erziehungsberechtigten in Form einer Rechtsverordnung festlegt.

 

Betrachtet man die Schulreformen und die begleitende Verrechtlichung des Schulwesens, so kann man sagen, und dies gilt auch für das Math.-Nat. Gymnasium, daß Schule heute keine obrigkeitliche Unterrichts- und Erziehungsanstalt mehr ist, sondern daß alle Partner Möglichkeiten der Einwirkung auf das Schulleben haben, die sehr stark auf die Ausübung und das Verständnis von „Schulgewalt” rückwirken. Daher sind die letzten 25 Jahre von erheblicher Bedeutung für die Geschichte des Gymnasiums und somit auch unserer Schule.